Das Grasegger Magazin 30 Jahre Jubiläum

GESPRÄCH GESCH I CHTE Einstellungssache. „Solange man gesund ist und arbeiten kann, geht alles." Wer in Zeiten des Onlineversandes und mäch- tiger Handelsketten als familiengeführter Ein- zelbetrieb aus- statt abbaut, der muss auf etwas sehr Wertvolles bauen können. Auf eine stabile Basis, die besonders ist. Auf ein zwischen- menschliches Miteinander, geprägt von guten sozialen Strukturen und Charakteren, die sich ergänzen, und so sein dürfen, wie sie sind. Die Firma Grasegger ist so ein Phänomen. Namentlich seit 30 Jahren, grundsätzlich aber schon seit 1922, ist sie ein fester Bestandteil der Garmischer Fußgängerzone. Überregio- nal bekannt und einfach nicht wegzudenken. Woher kommt dieser Erfolg? Eine familiäre Spurensuche. Die Basis, so einfach wie gut, ist Annemie Graseggers Esstisch. Dort kommt man zam, es wird g’red, gespeist, geschwelgt und kontro- vers diskutiert. Drei Generationen, und ihre individuellen Akteure, werden zu der Ge- schichte, die bis heute anhält. Oma Annemie, Sohn omas, seine Frau Marianne und Enkel Franzi. Und weil es sich mit vollem Magen besser denken und reden lässt, gibt’s polnische Fleischpflanzerl mit „Champions“ . Oder auch „Putinbraten“ . Essen und Ausdrücke werden von der charmanten Haushälterin Susanne serviert, die mit amTisch sitzt und „besonders gerne kocht, wenn der omas kommt.“ Wenn Annemie, bewundernswerte 89 Jahre alt, mit zeitlosem Funkeln in den Augen zu erzählen beginnt, liegt etwas in der Luft. Das bestimmte Etwas, das es ausmacht. Humor- voll und unverfroren direkt, berichtet sie aus vergangenen Zeiten und lässt ihre Zuhörer an jener Lebensweisheit teilhaben, die sowohl behütet als auch inspiriert. So erinnert sie sich oft an die Anfangszeit, als sie ein 20jähriges Mädchen war, das eigentlich in die weiteWelt hinauswollte. „Da gingen die Leute noch zum Einkaufen, und nicht zum Shoppen.“ Eine Zeit, in der Bergtouren im Dirndl ge- macht wurden. In der eine Daunenjacke zum Kirchgang als modischer Ausbrecher galt. Als die Kinder sonntags vorbeischauten, um das Auto, einen offenen Brennabor, der Familie Hartenstein mit laufendem Motor zu sehen. Und ein Stückchen mitzufahren. Als die Männerhaut härter, und die Lodenstoffe der- ber waren. Als Kinder mit Knöpfen, statt mit Filly Pferdchen spielten. Als ihre Mama und ihre Schwägerin in alter Tracht zum Sonnen- bichl gingen, „um sich den Touristen zu zeigen, damit die sehen, was es gibt.“ Mit Otterhauben auf den Köpfen, die in heiliger Handlung aufgesetzt wurden. Gerade heute, in einer Welt voller Anonymität und rasend schnellemWandel, ist es spannen- der denn je, diesen Anekdoten zu lauschen. Von heut’ auf morgen wurde Annemie im Jahre 1945 Geschäftsfrau und musste zusammen mit ihrem Bruder Karl den Betrieb übernehmen. Erst verstarb im Januar 1945 unerwartet ihre Mutter Katharina, dann fiel der ältere Bruder OMA’ S STAMMHALTERT I SCH - BE I CHAMP I ONS UND PUT I NBRATEN - omas, eigentlich als Nachfolger vorgesehen, nur zwei Monate später demKrieg zumOpfer. Doch die Weichen für ein florierendes Ge- schäft waren durch die ausgeprägte soziale Ader der Mutter gut gestellt. Sie war dafür bekannt, sich während des Krieges großzügig um ihre Mitmenschen gekümmert zu haben. Zum Bei- spiel gingen die Kinder den langen Bittgang nach Ettal, weil sie am Ende von Katharina mit einem Paar Wiener belohnt wurden. Jetzt war Annemie in der Verantwortung – zwar mit Abitur in der Tasche, was für die damalige Zeit als Frau etwas Besonderes war, jedoch nur mit den praktischen Erfahrungen aus dem Münchner Straßenbahnfahrdienst im Gepäck. Außer Türen öffnen und die Leut’ hereinlassen nicht gerade viel an praktischer Schulung. Und ein Rat von Bruder omas, den er ihr während eines Heimaturlaubs gegeben hatte, kam noch hinzu: „Stell dich an die Kasse und sag laut Grüß Gott!“ Das war’s und das vergisst sie nie. Doch die Vorbereitung reichte. Annemie Grasegger, geborene Hartenstein, ist pragma- tisch veranlagt. Sie hat ihre schicksalsgege- bene Berufung nie bereut. Risiko? Zu viel auf einmal? Derartige Zweifel und bremsende Gedanken sind der realistischen Dame fremd: „Solange man gesund ist und arbeiten kann, geht alles. Diese unternehmungslustige Zuversicht habe ich von meiner Mutter geerbt.“ Der angeborene Optimismus half wohl auch bei der zukunftsweisenden Entscheidung, zu-

RkJQdWJsaXNoZXIy Mzk0ODY=