Grasegger Magazin - Fahrtwind

ANFANG Ich wollte Schokokuchen backen. Zugegebener- maßen mit recht knapp bemessenem Zeitfenster und daher ein wenig unruhiger Hand. Und den- noch. Der alte Mixer ließ mich einfach im Stich. Als ich ihn am meisten brauchte und er tief in der braunen Sipsche (ich drehe den Dialektspieß mal um) steckte, löste sich ein Rührstab. Und flog durch die Küche davon. Das Ergebnis? Schokobatz überall und die Überlegung, dass es manchmal trotz emotionaler Bindung an Bewährtem (der Mixer ist von meiner Oma) einfach an der Zeit ist, neue Dinge einziehen zu lassen … M I T E I NEM GEGEN S TAND Szenenwechsel. Ich bin im Trachten- und Mode- haus Grasegger und spreche über das Thema mit meiner Kollegin Regina. Die mir von einer Kundin erzählt, die sie kürzlich bedient hat. Einer Russin, die unbedingt ein traditionelles Plattltuch auf ihrer Hochzeit tragen wollte. „Da hatte ich scho ein wenig Bauchweh, hat sich fast wie Heimatverrat angefühlt. Aber man könnte sich auch fragen – warum ham mia da jetzt eigentlich Bauchweh? Wahrscheinlich, weil wir die Tradition so gelernt haben, aber wer schreibt das eigentlich vor (…)? I hätt früher auch nie Chucks zum Dirndl ange- zogen, zig i heut scho an, ist mir wurscht. Da kann man heut a bissl offener sein.“ Natürlich muss jeder selbst entscheiden, wo, wann und wie er das kann. Ich zum Beispiel halte eisern an den echten Kerzen auf dem Christbaum fest. Freue mich als Teilzeittrachtenträger aber auch sehr, dass Turnschuhe zum Dirndl kein No-Go mehr sind … M I T E I NEM GE S P R ÄCH Der mich streifte, als ich im Supermarkt bedient wurde. Die Verkäuferin: klassischer Haarschnitt, tiefster, bayerischer Dialekt. Das Ereignis: ein Griff in die Käsetheke und ein dadurch entblößtes, oberarmfüllendes, knallbuntes Blätter-Tattoo. Und die Tatsache, dass ich sie am liebsten gefragt hätte, wie sie dazu gekommen ist. Mit dem Gedanken, dass die Verbindung oder das Aufeinandertreffen von gewohnt auf ungewohnt immer mit einem Überraschungsmoment einhergeht. Den ich per- sönlich sehr mag. Weil er die Neugier anregt und darüber hinaus (in diesem Fall, wenn ich ohne Eis im Korb dagestanden hätte) dafür sorgen kann, dass man miteinander ins Gespräch kommt. Um so vielleicht die ersten spontanen Geschmacks- empfindungen mit persönlichen Geschichten und tieferen Hintergründen zu ersetzen. Die das Ganze dann oft stimmig machen. Und da ist sie wieder. Die Offenheit, von der Hermann Hesse dichtet und die dabei helfen kann, über den persönlichen Schatten zu springen und Bewegung zuzulassen … Text: Lisa Rühl M I T E I NEM GEDANK EN

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