Grasegger Magazin - ALPINES hygge

Wieder geht ein Jahr zu Ende. Ein ungewöhnliches, unerwartetes, in vielerlei Hinsicht auch unerfreuli- ches. Aber Jammern bringt gar nichts, ändert nichts. Nein, denken wir nach vorne, die Zähne zusammenbeißen und weiter gehen. Voller Mut und Zuversicht. Denn es steckt auch viel Lehr- reiches in dieser Zeit. Und dazu möchte ich Ihnen gerne etwas erzählen. Ich habe einige gute Freunde, ziemlich weit weg. Dort wo gerade gewählt wird, während ich diese Zeilen schreibe. Aber dieses Weit -weg war nie ein Problem. Denn wir haben Skype, WhatsApp und Telefon. Damit sind wir in Kontakt, als wären sie gleich ums Eck. Und wir leben in einer Zeit, in der täglich mindestens ein Flieger von München zu ihnen abhebt. Ein- mal im Jahr ich hin und sie her. Entfernung wurde in unserer Generation so zu einem ab- strakten Begriff. Darum machte es auch nichts, dass einer meiner wirklich besten Freunde seit einigen Jahren dort drüben ist. Denn auch wenn wir noch den gleichen Wohnort hätten, würden wir uns dank voller Terminkalender wahrscheinlich nicht häufiger sehen. Vielmehr erlebe ich die gemeinsam verbrachte Zeit noch intensiver und im Fall der Fälle geht spätestens morgen der nächste Flieger. Doch auf einmal starteten diese Flieger nicht mehr. Für schon fast ein Jahr sind Skype und WhatsApp tatsächlich die einzigen Kontakt- möglichkeiten, wurde Entfernung wieder wirk- lich fühlbar. Da hilft auch ein wöchentlicher Stammtisch vor dem Laptop nicht viel. Richtig gemütlich wäre dieser erst, wenn sich die Gläser beim Anstoßen klingend berühren. Zusam- mensein hat eine spezielle Chemie, eine non- verbale Komponente, die auch moderne Technologie nicht ersetzen kann. Nur ein Beispiel, das mir gezeigt hat: nichts ist selbst- verständlich. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf habe ich heuer jede schöne Begegnung besonders genos- sen und dabei ein neues Gefühl der Dankbar- keit entdeckt. Zum Beispiel für etwas eigentlich so Normales wie einer offenen Grenze nach Tirol. Die gemütliche Wohnung, der Garten mit Aussicht oder Radtouren durch heimische Natur. Aber auch besonders alles Menschliche, wie das Stammcafé mit seinen bekannten Ge- sichtern. Und vor allem für Familie und Freunde. Ein besonders sensibles Gefühl, das zwar nicht ganz neu, aber auf einmal viel inten- siver als vor Corona ist. Besonders auffällig war es auf unserer letzten Messereise im Februar nach Kopenhagen. Dort haben sie sogar ein Wort dafür: Hygge. Und ich glaube Hygge spürt man jetzt auch im Werdenfelser Land. Wir sind irgendwie skandi- navischer geworden, noch ein bisschen familiärer, häuslicher, reduzierter in unseren Bedürfnissen. Das Höher-schneller-weiter verabschiedet sich zu Gunsten einer Suche nach Nähe, Besinnung und Qualität. Ich finde das positiv. Sehe es als endgültigen Anfang einer neuen Zeit, die sich schon länger angekündigt hat. Deshalb muss man nicht alles, was vorher war, schlecht fin- den. Nur mehr hinterfragen und wieder auf die Suche nach dem rechten Maß gehen. Der Bewegungsradius wurde kleiner. Der, in dem sich die Gedanken bewegen, aber größer. Nichtsdestotrotz freue ich mich schon auf den nächsten Flug, der irgendwann sicher wieder startet. Oder die Fahrt zum Flughafen, um meine Freunde abzuholen. Das erste Bier mit Toni ohne Kamera, am liebsten in einem unser- er Bierzelte. Diese Zeiten kehren zurück. Bis dahin haben wir aber hoffentlich das ein oder andere hinterfragt, Schlüsse gezogen und sind bewusst in das neue Jetzt gestartet. Und bis dahin machen wir es uns einfach „ hygge “, schü- ren den Ofen, genießen unsere wundervolle Heimat und erfreuen uns an den besonderen Dingen, die uns umgeben. Für das aber was uns fehlt, suchen wir uns etwas, das es uns ein biss- chen näherbringt. Bei mir ist es der Cowboyhut zur Lodenjoppe … Bleiben Sie gesund! Herzlichst Ihr, Franz Grasegger W NO. 7 /20

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